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Tilman Rammstedt – Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Tilman Rammstedt ist ein deutscher Autor und Musiker. In Bielefeld geboren, studierte er Philosophie und Literaturwissenschaft an der Uni Tübingen, Berlin und Edinburgh. 2008 erhielt er den Ingeborg-Bachmann-Preis. Heute lebt er in Berlin. Er ist ständiges Mitglied der Berliner Lesebühne Visch & Ferse.

Meine erste Begegnung mit diesem Roman lässt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Chef kommt von der Buchmesse, drückt mir dieses schmale Bändchen in die Hand und sagt sowas wie: Hier, hab ich dir von der Buchmesse mitgebracht. Schon die Gestaltung und das Wort Bankberater im Titel haben mich zunächst auf Sicherheitsabstand gehen lassen. Ich dachte bloß – Oh Gott, nicht schon wieder irgendwelche semi-fiktiven Lebensbeichten zu wenig beachteter Berufstätiger in schrulliger Beschäftigung. In trauter Runde gemeinsam mit Bekenntnissen von Metzgern und Call Center Agents und Tatortreinigern. Muss irgendwie nicht sein. Finde ich nicht so spannend.

Ich nahm es also höflich entgegen und legte es irgendwohin. Möglichst an einen Ort, an dem ich es nicht so schnell wiederfinde, sollte der Moment kommen, an dem ich es suche. Und um nun den Bogen zu meiner Rezension zu schlagen – das war ein Fehler! Denn Tilman Rammstedts Buch ist nicht nur herrlich kurzweilig, sondern auch sprachlich einfach ein Genuss gewesen. Mal ganz abgesehen von der vollkommen schrillen Herangehensweise des Autors – denn das hier ist mitnichten ein konventioneller Roman!

Tilman Rammstedt schreibt die Geschichte der Geschichte. Dieser Roman ist wie ein kleines Spiegelkabinett, denn Rammstedt schreibt von dem Autor Rammstedt, der Bruce Willis jeden Tag eindringliche E-Mails schreibt. Er möchte Bruce Willis für die Rolle seines ehemaligen Bankberaters in seinem neuen Roman gewinnen, besonders, nachdem er in irgendeiner Illustrierten gelesen hat, es ginge dem Herrn Willis gerade nicht besonders gut. Doch Bruce Willis antwortet nicht. Und so werden Rammstedts E-Mails immer fordernder, bis er Bruce Willis völlig ungefragt eine Rolle zuteilt.

Ungefähr in der Mitte des Herbstes begann mein ehemaliger Bankberater damit, sich keine große Mühe mehr mit den einzelnen Begrifflichkeiten seines Berufes zu geben. ‘Als mittelfristige Anlage könnte ich Ihnen ein Dingens empfehlen.’ sagte er und: ‘Ich schätze Sie eher als Dingens ein’, und manchmal auch: ‘Der Vorteil von diesem Dingens ist Dingens.’ Mich störte das nicht. Im Gegenteil, vieles wurde für mich so verständlicher. Nur einmal fragte ich, ob alles in Ordnung sei. Mei ehemaliger Bankberater schaute sich um, rückte ein paar Gegenstände auf seinem Schreibtisch zurecht und überprüfte den Knoten seiner Krawatte. ‘Das allermeiste, ja’, sagte er.

Zwischen den Briefen Rammstedts sind immer wieder kleine Begebenheiten wie die obige eingestreut, die den Bankberater als irgendwie einsamen, aber genügsamen Mann charakterisieren. Diese kleinen Abschnitte haben mir besonders gut gefallen, weil sie trotz ihrer Kürze eine überraschende Ausdruckskraft besitzen. Immer schwingt darin eine süße Melancholie mit, irgendwie auch eine Ergebenheit in das Schicksal, die man rührend finden muss.

Mein ehemaliger Bankberater geriet manchmal ins Grübeln. ‘Vielleicht ist auch alles ganz anders’, sagte er und schaute dabei knapp an mir vorbei. ‘Wahrscheinlich aber nicht’, sagte er dann und ich ärgerte mich darüber, das mich das enttäuschte.

Dem konträr gegenüber stehen die Briefe an Bruce Willis, der einfach nicht antworten und seinen Teil zu einem glücklichen Ende beitragen will. Und so lässt Tilmann Rammstedt seinen Bankberater seine eigene Bank überfallen und während der inhaftiert wird, flieht Rammstedt gemeinsam mit Bruce Willis vor der Polizei. Immer wieder appelliert er an Bruce Willis, doch auch mal die Zügel in die Hand zu nehmen, so könne das doch nicht weitergehen, nun säßen sie irgendwo in der Ödnis und würden verfolgt, bloß weil Herr Willis es nicht schafft, in seiner gewohnt coolen und nonchalanten Art die Situation zu retten.

Sehr geehrter Herr Willis,

die Welt kann nicht warten, ich kann nicht warten, das glückliche Ende kann nicht warten. Die Polizisten vor der Bank können nicht mehr warten, die wollen zurück zu ihren Familien, zu ihrem richtigen Leben, und mein Bankberater will auch endlich zu seinem richtigen Leben, deshalb ist er ja hier, mitten in der Bank, mitten in der Ausweglosigkeit. Er kann am allerwenigsten warten. Der Revolver liegt fremd in seiner Hand, als ob er nur kurz für jemand anderen darauf aufpassen soll, der einfach nicht zurückkommt.

Was diesen Roman auch handwerklich so spannend macht, ist die Omnipräsenz des Autors. Obwohl wir zu jedem Zeitpunkt wissen, dass all das eine erdachte Geschichte ist, in die wir uns gar nicht erst hineinversetzen müssen, nehmen wir Anteil, glauben wir an das, was da in den Briefen geschildert wird. Obgleich es jeden Moment auch anders sein könnte, denn selten spürt man die Allmacht eines Autors so deutlich wie hier. Gewürzt ist das Ganze mit einer ordentlichen Note Humor, der aber niemals aufdringlich oder flach erscheint. Ich habe diese Lektüre genossen.

Ob ich mal was Interessantes hören wolle, fragte mich mein ehemaliger Bankberater auf unserer Fahrradtour im Juni. ‘Ja’, sagte ich. ‘Ich auch’, sagte er. Dann radelten wir weiter, mein ehemaliger Bankberater, die Hoffnung und ich.

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