Sachbuch
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Janine di Giovanni – Die Geister, die uns folgen

Janine di Giovanni ist eine amerikanische Kriegsreporterin, Journalistin und Autorin. Sie berichtete über Jahre aus zahlreichen Kriegs – und Krisengebieten, unter anderem aus Tschetschenien, Syrien, Bosnien, Afghanistan und Somalia. Heute lebt di Giovanni mit ihrem Sohn in Paris und fasst in diesem Buch nicht nur ihre Kriegserfahrungen zusammen, sondern auch das Leben nach dem Krieg, nach der Heimkehr. Ein Exemplar dieses Buches wurde mir freundlicherweise von Blogg dein Buch und dem Bloomsbury Verlag zur Verfügung gestellt.

Die Geister, die uns folgen ist schonungslos ehrlich. Es berührt eine Welt, die wir uns als Otto-Normal-Verbraucher wohl nicht einmal entfernt vorstellen können. Nachdem di Giovanni aus vielen Kriegsgebieten berichtete, lernte sie in Sarajevo einen französischen Journalisten namens Bruno kennen. Die beiden verliebten sich schnell, im Chaos des Krieges schon etwas Besonderes, wie ich finde. Einige Jahre lang sahen die beiden sich überhaupt nicht, waren quer über sämtliche Kontinente unterwegs und mit ihnen immer die Möglichkeit, jederzeit zu sterben. Im Beschuss getroffen, von Soldaten getötet zu werden, war für di Giovanni und ihre Kollegen Realität. Eine Realität, mit der sie lebten und die sie dennoch nicht von ihrer Arbeit abhielt. Durch wundersame Zufälle traf sie Bruno immer wieder, sei es, weil er irgendwie ihre Telefonnummer ergattert hatte – so es natürlich im entsprechenden Gebiet einen funktionierenden Telefonanschluss gab – oder, weil er im selben Gebiet eingesetzt war. Die beiden heirateten. Und entschlossen sich, ein ruhiges Leben zu führen, abseits von den Wirren und dem Elend des Krieges. Ihre Wahl fiel auf Paris.

Wir hatten Paris wegen dem gewählt, was es war, und wegen dem, was es nicht war. Paris lag in einer gemäßigten Klimazone, man wachte am Morgen also nicht mit dem Gefühl ewigen Fiebers auf. Es gab keine Autobomben oder von Drogen bedröhnte Kindersoldaten, die einem mit russischen Panzerbüchsen vor der Nase herumfuchtelten. In Paris gab es keine Mütter aus Russland, Tschetschenien oder Srebrenica, die weinten, weil ihre Söhne nicht mehr nach Hause gekommen waren, während ich in mein Notizbuch schrieb und mich zusammennahm, um nicht mit ihnen zu weinen. Paris war weit weg von Massengräbern im Kosovo, von Kindern in Sierra Leone, denen geisteskranke Rebellen in einem Krieg, den kein Mensch nachvollziehen konnte, absichtlich Hände oder Unterarme amputiert hatten, damit sie “lange” oder “kurze Ärmel” hatten …

Dies ist nur ein kleiner Einblick in das Grauen, was di Giovanni gesehen und was viele andere, ob Kriegsreporter oder Einwohner des Krisengebietes, erleiden und erleben mussten. Als di Giovanni nach Paris kommt, ist sie schwanger. Nach mehreren Fehlgeburten, die durch eine seltene Blutgerinnungsstörung mitverursacht wurden, hofft sie, nun endlich ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Doch es fällt ihr nicht nur schwer, sich in Paris zurechtzufinden, die franzözische Sprache beherrscht sie bisher nur partiell, sondern auch, sich mit einer Welt zu arrangieren, in der es all das Chaos und das Leid, das sie gesehen hat, nicht gibt. Plötzlich jagt ihr das Alltagsleben mit seinen Verpflichtungen wesentlich mehr Angst ein als ein Schlachtfeld. Nachdem sie ihren Jungen geboren hat und alle anderen voller Glück und Freude gratulieren, wird sie nur von Angst beherrscht. Was könnte ihrem Kind alles zustoßen? Was wäre, wenn sie es nicht beschützen könnte? Sie beginnt, völlig abstruse Szenarien zu entwickeln, von plötzlichem Beschuss oder feindlichen Invasionen.

Die Geburt weckte verdrängte Ängste. Es fing damit an, dass ich in der Küche Wasser hortete: eingeschweißte Packungen mit insgesamt über fünfzig Flaschen, die schätzungsweise drei Wochen reichen würden. Immer, wenn ich zu Monoprix ging, kaufte ich noch mehr Lebensmittel und ließ sie nach Hause liefern. Ich kaufte Konserven, Reis, Nudeln – Vorräte, die es auch in Sarajevo während der Belagerung gegeben hatte – und alles, was im Notfall schwer zu bekommen wäre: Medikamente in riesigen Mengen, Ciprofloxacin und Kodein, für die ich meinen irritierten Arzt um Rezepte bat. Ich hortete auch Verbandszeug, Mullbinden, ja selbst diese braun verpackten Feldkompressen, die ich aus Tschetschenien mitgebracht hatte und die bei Schusswunden die Blutung stillten.

Es ist schockierend, in dieser Offenheit darüber zu lesen. Schon öfter habe ich mich gefragt, wie es wohl Auslandskorrespondenten in solchen Gebieten ergehen muss. Möglicherweise sind sie heute auch besser vom tatsächlichen Kriegsgeschehen abgeschirmt als noch vor zwanzig Jahren, darüber kann ich kein Urteil treffen. Viele von di Giovannis Freunden und Kollegen sind entweder der Alkoholsucht verfallen oder haben sich das Leben genommen. Sie hätten zuviel gesehen, sagen sie. Und stellenweise kam ich mir beim Lesen auch vor, wie mitten in Remarques Im Westen nichts Neues. Bruno seinerseits hat lange durchgehalten und seine Frau unterstützt, bis er irgendwann zusammenbricht. Er ist seit Jahren alkoholabhängig, kann nicht mehr schlafen, ihn plagen schreckliche Alpträume und die Erinnerungen an seine Einsätze. PTBS – Posttraumatische Belastungsstörung, ist die Diagnose, die heute auch immer mehr in die öffentliche Diskussion über Kriegseinsätze einbezogen wird. Soldaten haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer PTBS zu erkranken. So offenbar auch viele Kriegsreporter, über die, nach meiner Wahrnehmung, relativ selten gesprochen wird. Sie sind mehr Dienstleister in einer Mediengesellschaft als tatsächlich vom Krieg geschädigt – sie könnten ja jederzeit gehen, sagt man sich. Aber genau an dieser Diskrepanz und Ohnmacht zerbricht manch einer.

Für mich ist dieses Buch ein wichtiges und lesenswertes. Es ist ein Blick hinter die Kulissen. Ich habe unglaublichen Respekt vor Menschen, die freiwillig in diese Gebiete fahren und nicht nur stumpf darüber berichten – das mag es selbstverständlich auch geben -, sondern auch versuchen, gemeinsam mit den Menschen, die dort leben, die Situation zu verbessern. Die versuchen, Menschen zu retten. Außer Landes zu bringen, wenn es nicht anders geht. Sie mit Nahrung zu versorgen. Manchmal vielleicht auch einfach mit ihnen zu sprechen. Für einen Moment das Elend zu vergessen. Diese Menschen – und dazu zählen freilich auch Vertreter von Hilfsorganisationen – sind für mich soviel mehr Helden als es tausende Soldaten jemals sein können.

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