Romane, Sachbuch
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Florian Illies – 1913

Florian Illies ist ein deutscher Autor, Journalist und Kulturhistoriker. Er studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte und wurde 1997 Feuilletonredakteur der FAZ. Bekannt wurde Illies durch Generation Golf, in dem er einen kritischen Blick auf seine eigene Generation wirft. Auch die Kinder der 80er- und 90er-Jahre waren bereits Gegenstand seiner Analyse, die mit dem Fazit endete, dass aus diesen Kindern mehrheitlich unkritische und politisch desinteressierte Erwachsene geworden sind. Mit 1913 legt er nun etwas ganz Anderes vor.

Ich nehme ja sonst den Mund gewöhnlich nicht so voll, dass es mich am Sprechen hindert, aber in diesem Falle muss ich im Brustton der Überzeugung sagen: 1913 ist, für mich, wahrscheinlich DAS Buch des Herbstes, ein historisch-humoristisch-politisch-künstlerischer Überblick über das Jahr vor Kriegsausbruch, in dem Franz Kafka den schlechtesten Heiratsantrag der Welt machte, Picasso und andere Expressionisten den Kubismus zu etablieren versuchten, in dem Rainer Maria Rilke Schnupfen hatte und Adolf Hitler im Wiener Männerheim das immer selbe Motiv aquarellierte!

Illies verschafft hier einen Einblick in das Leben zahlreicher Künstler, Wissenschaftler, Philosophen und Politiker im Jahre 1913, er verwendet Ausschnitte aus ihren Briefen, die er manchmal beiläufig, manchmal sehr scharfzüngig kommentiert. Es ist kein Fließtext, es ist mehr eine so spannende wie erheiternde Anekdotensammlung derer, die wir aufgrund ihres wissenschaftlichen oder künstlerischen Nachlasses oft in einem gänzlich entmenschlichten Licht sehen. So auch Sigmund Freud und Thomas Mann, die von Illies mehrfach in sehr menschlichen und alltäglichen Situationen geschildert werden, mit ihrem ganz menschlichen Zaudern, ihren ganz eigenen, persönlichen Dämonen und denen der Zeit. Denn, ähnlich wie es auch Sebastian Haffner sagte, als er von Hitler schrieb, wirkt hier durch alle Künstler auch irgendwo der Zeitgeist, der sie vorantreibt, beflügelt, inspiriert oder wahnsinnig (süchtig) werden lässt, wie Georg Trakl.

Zu dieser Geschichtsstunde, die dem Interessierten so einige Anhaltspunkte zur weiteren Beschäftigung und Recherche liefert, gibt uns Illies auch immer wieder einiges zum Lachen. Absurde Zwischenfälle oder merkwürdiges Künstlergebaren werden hier mit einem Augenzwinkern serviert. Kafkas Unentschlossenheit, Rilkes Hang zum Leiden, Musils schreibgebundene Neurasthenie, der Wahnsinn Oskar Kokoschkas und seiner Geliebten Alma Mahler, Arnold Schönbergs Aberglauben hinsichtlich der Zahl 13, die sich ja nun bedauerlicherweise auch noch in der Jahreszahl wiederfand und Thomas Manns streng durchgeplantes Leben, das beinahe an die Gleichförmigkeit des alltäglichen Lebens erinnert, die Immanuel Kant für sich etabliert hatte.

Erst Jünger war also schon nüchtern, als alle anderen ihn noch nicht einmal für voll nahmen!

Ich könnte hier so viele Anekdoten widergeben, aber das müsste unweigerlich das Lesevergnügen dieses großartigen Buches schmälern! Für mich, die sich mehr der Literatur denn der Kunst verbunden fühlt, gab es unzählige neue Namen und Geschichten, im Anhang ist ein Literaturverzeichnis mit einigen ausgewählten Büchern, die Illies für die privaten Anekdoten und Geschichtchen nutzte. Wer will und die Augen offen hält, kann diesem Buch mehr entnehmen als 30 Guido Knopp Dokus! Diese Leichtigkeit, dieser Humor, die Überprüfbarkeit der Geschichten – denn an einigen Stellen war ich tatsächlich skeptisch, inwieweit das dort Geschilderte der realen Historie entspricht – und die Fülle an Informationen hat mich bis in die Nacht an dieses Buch gefesselt!

Selbstverständlich streut Illies auch die eine oder andere Situation ein, die es so lediglich gegeben haben könnte, wenn er das tut, weist er aber auch stets darauf hin. Und nach der Lektüre, muss ich sagen, habe ich durchaus auch das Gefühl, trotz allen Amüsements, etwas gelernt zu haben. Gibt es eine schönere Art des Lernens? Hiermit sei also deutlich gesagt, dass dieses Buch unbedingt vom Buchhändler eures Vertrauens in eure eigenen Bücherregale wandern sollte! Schnellstens!

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  1. Pingback: Ein Lesejahr 2012 geht zu Ende « Literaturen

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