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Anthony McCarten – Ganz normale Helden

 

Anthony McCarten ist ein neuseeländischer Autor und Filmemacher. McCarten schreibt seit langer Zeit erfolgreich Theaterstücke, u.a. Ladies’ Night, das 2001 mit dem Molière-Preis ausgezeichnet wurde. Auch an den Drehbüchern zu Superhero und English Harem war er, als Autor der Vorlage, maßgeblich beteiligt. McCarten wohnt in Los Angeles, Wellington und London.

McCartens „Ganz normale Helden“ setzt dort an, wo „Superhero“ endete. Donald Delpe, der jünste Sohn der Familie und unbestritten ein zeichnerisches Genie, ist an Krebs gestorben. Die Familie trauert, jeder auf seine Weise, doch hat sich mittlerweile zwischen ihnen allen eine nahezu unüberwindbare Schlucht gebildet. Renata, die Mutter Donalds und Jeffreys, flüchtet sich auf eine Art Beichtseite im Internet, wo sie einem virtuellen Gott all ihre Sünden gesteht, in der Hoffnung, von ihnen freigesprochen und, insgeheim, von ihrer Trauer um Donald erlöst zu werden. Jim, ihr Mann, redet kaum mit seiner Frau und gewinnt, insbesondere, nachdem ein Kollege ihn auf diesen zynischen Gedanken brachte, immer mehr den Eindruck, seine Frau sei süchtig nach Trauer und Leid. Der verbliebene Sohn Jeffrey, mittlerweile achtzehn Jahre alt, flüchtet sich in die virtuelle Welt von Life of Lore, einem Internetrollenspiel, das in seinen Strukturen Spielen wie World of Warcraft oder Diablo sehr ähnlich ist. (interessanterweise ist Lore of Life ein Fluch des Warhammer Universums, ein Schelm, wer Böses dabei denkt)

Eines Tages verschwindet Jeff einfach, ohne seinen Eltern zu sagen, wohin er geht und was er vorhat. War er zuvor nur bei seinen Eltern geblieben, um die beiden auseinanderdriftenden Ehepartner wie Kitt zusammenzuhalten, scheint er sich jetzt aus Überwachung und Kontrolle freizukämpfen. Seine Mutter öffnet seine Post, telefoniert ihm hinterher, alles nur, weil sie es nicht ertragen könnte, noch einen zweiten Sohn zu verlieren. Ironischerweise erreicht sie mit ihren Bemühungen genau das, was sie verhindern will – den Verlust ihres Sohnes. Durch einen Zufall erfährt Jim den Nickname seines Sohnes in Life Of Lore und beschließt nach dessen Verschwinden, in dieser künstlichen Welt nach ihm zu suchen. Er erstellt einen Avatar und kämpft sich langsam die Level nach oben. Auf einer kleinen, im Spiel integrierten Minikarte kann er immer nach seinem Sohn suchen und mit ihm via Chat in Kontakt treten.

Was Jim zunächst vollkommen irritiert, nimmt ihn im Laufe der Geschichte gänzlich in Beschlag. Er kann sich der Anziehungskraft dieses Spiels nicht mehr entziehen und verbringt Stunden, Nächte, online, um seinem Sohn näherzukommen und möglicherweise etwas über seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Wie ein bösartiger Virus frisst sich das Spiel in sein außervirtuelles Leben. Die Distanz zu seiner Frau wird immer unüberwindbarer, seine Anwaltskollegen und Firmenpartner legen ihm nahe, doch einige Zeit aus der Firma auszusteigen, um wieder zu Kräften zu kommen – und tatsächlich erfährt er etwas über seinen Sohn, was er niemals erwartet hätte.

Ich kann nicht sagen, dass mich das Buch vollkommen überzeugt hat. Zwar nimmt die Geschichte mit fortlaufender Handlung Fahrt auf, allerdings nehmen mir die Spielmissionen und generell die Spielwelt von Life of Lore einen zu großen Raum ein. Die Geschichte teilt sich nahezu in außervirtuelle Realität und die Wirklichkeit des Künstlichen, gelegentlich verschwimmen beide. Das kann man natürlich als Absicht des Autors deklarieren, der Jim Delpe eindeutig als einen internetfeindlichen Mann zeichnet, der große Gefahren und kulturelle wie soziale Degeneration im Internet begründet sieht. Aber auch hierin sehe ich ein Problem – das Internet wird hier zum Tummelplatz für Realitätsflüchtlinge und Irre. Niemand meint es ernst im Internet, niemand ist psychisch und geistig gesund im Internet und wenn man unversehrt sein Leben leben will, hält man sich von diesem Dämon fern.

So einfach ist es natürlich nicht. Ich sehe zweifellos Medien – und insbesondere Internetkritik sicherlich als notwendig an, wenn es um Plattformen wie Facebook geht und ich möchte keineswegs abstreiten, dass sich im Internet bisweilen merkwürdige Menschen tummeln. Mit diesem Roman wird aber ein völlig verzerrtes und in Teilen auch gänzlich unrealistisches Bild des Internets und der Menschen, die es nutzen, vermittelt – mal abgesehen von dem Bild, das man sich anhand der Schilderungen über Online-Rollenspieler machen kann. Hier hätte ich mir etwas mehr Reflektion gewünscht, die andererseits vermutlich der Geschichte abträglich gewesen wäre. Wir sehen, wie dieser Mann dem Spiel verfällt, in der Hoffnung, seinen Sohn zu finden und sich mit ihm zu versöhnen, alles auf’s Spiel setzt und dabei überraschend dennoch auf den Füßen landet.

Alles in allem ist es zwar ein unterhaltsamer, aber, was die genannten Punkte anbelangt, eindimensionaler Roman. Um ihn zu verstehen oder in die Geschichte einzusteigen, muss man Superhero nicht unbedingt gelesen haben. Falls doch, wird es ein erfreuliches Wiedersehen mit der schicksalsgebeutelten Familie Delpe. Und solange man die manchmal unterschwellig und manchmal offen ausgesprochene Kritik an der Neuzeit nicht allzu ernst nimmt, kann es ein netter Zeitvertreib sein. Mehr aber leider auch nicht.

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