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Michel Onfray & Maximilien Le Roy – Nietzsche

Michel Onfray ist ein französischer Philosoph und Schriftsteller. Er begann seine publizistische Tätigkeit mit der Wiederentdeckung des vergessenen Philosophen George Palante. Onfray sah sich als Fortsetzer dessen Denkens und beabsichtigte, einen zeitgemäßen Linksnietzscheanismus zu begründen. Maximilien Le Roy ist ein französischer Zeichner.

Bisher hatte ich mich, zugegebenermaßen, wenig mit Nietzsche und seiner persönlichen Biographie beschäftigt. Er war mir als Philosoph geläufig, als jener, der mit Peitschen die Weiber besucht und den Tod Gottes verkündet, aber mir fehlte stets der große Überbau und das Verständnis seiner geisteswissenschaftlichen Bedeutung. Nachdem ich mehrfach gelesen hatte, dass Onfray und Le Roy hier einen guten Einstieg in Nietzsches Leben und Denken geschaffen haben – grafisch ansprechend aufbereitet – wollte ich das auch überprüfen.

Gleich zu Anfang wurde mir hier bewusst, wieviel Wert tatsächlich auf die Bilder und die damit erzeugte Stimmung gelegt wird. Sehr dialog – und textlastige Passagen wechseln sich mit bloßen Bildern ab, die man auf sich wirken lassen muss, um ihre Bedeutung zu verstehen. Es beginnt alles mit Nietzsches Geburt 1844 in Röcken, seiner Kindheit und deren prägendste Erlebnisse – der Tod des Vaters und Bruders. Friedrich soll die berufliche Laufbahn seines Vaters fortsetzen und Pastor werden, doch es zieht ihn mehr zur Musik. Er will Komponist werden, was seine Mutter als Broterwerb schlicht ablehnt.

Wir sehen Nietzsche häufig durch den Wald spazieren, allein nachdenken. Etwas scheint tief in ihm zu brodeln, vielleicht sind es auch bereits die Anklänge der furchtbaren Schmerzen und Krämpfe, die ihn in seinem späteren Leben immer wieder heimsuchen werden. 1864 begann Nietzsche in Bonn das Studium der klassischen Philologie und evangelischen Theologie, trat einer Burschenschaft bei und kurz danach auch wieder aus, weil ihm das Verbindungsleben widerstrebte. Er entdeckte Schopenhauer für sich und las begeistert Die Welt als Wille und Vorstellung. In diesem Comic lässt Onfray Nietzsche sagen: Das Wollen, der Wille, eine blinde Macht, die alles durchdringt…vom Blatt an diesem Baum über dich und mich bis zu den Planeten im All…wir sind nicht mehr als diese blinde Kraft, der wir gehorchen. Keine Freiheit, keine Notwendigkeit! Kein freier Wille, nur Determinismus. Dieses Denken befreit uns von allem, was die christliche Moral uns seit über tausend Jahren auferlegt!

Bei seinen Kommilitonen findet Schopenhauers pessimistische und fatalistische Denkweise wenig Anklang, Nietzsche verändert sie von grundauf.  Bereits 1868 hatte Nietzsche Richard Wagner und dessen Frau Cosima kennengelernt und verehrte sie zutiefst. Häufig besuchte er sie in der Schweiz, so auch 1870, nachdem er eine Professur für Philologie an der Universität Basel bekommen hatte – mit vierundzwanzig Jahren. Doch Nietzsche hat wenig Erfolg und spricht meistens vor einer handvoll Studenten. 1872 hatte er Die Geburt der Tragödie veröffentlicht, das sich mit den Ursprüngen der Tragödie auf der Basis philosophischer Spekulationen auseinandersetzte. Sein Werk wurde alles andere als wohlwollend aufgenommen. Einer seiner Freunde sagt Nietzsche: Professoren mögen das freie Denken nicht. Du benutzt die Philologie zu…sagen wir mal, zeitgenössischen Zwecken.  Auf die Frage Nietzsches, wie er diese Entwicklung umkehren könne, bekommt er die nüchterne Antwort: Gar nicht, fürchte ich. Man findet dich zu lyrisch und nicht wissenschaftlich genug. Es ist einfach zu gut geschrieben, zu leidenschaftlich, nicht düster genug. Es ist universitärer Selbstmord.

Nietzsche schwebte eine Art philosophische Gemeinschaft ähnlich den philosophischen Schulen des alten Griechenlands vor, die allerdings niemals verwirklicht wurde. 1879 muss er seine Lehrstelle niederlegen, da er immer häufiger von heftigen Migräneanfällen heimgesucht wird. Er beginnt zu reisen, nach Deutschland, in die Schweiz – sein ehemaliger Schüler Peter Gast lädt ihn nach Venedig ein. 1882 lernte er Lou von Salomé kennen und verliebte sich in sie, als eine seiner begabtesten Schülerinnen – doch sie lehnte ab, als er um ihre Hand anhielt. Durch Streit und Zerwürfnisse mit seiner Schwester Elisabeth, die deutlich dem antisemitischen Gedankengut anhing und in Nietzsches Schriften Ähnliches zu finden glaubte, wurde er auch immer mehr von seiner Familie separiert. Nietzsche begann mit der Arbeit an Also sprach Zarathustra.

Sein Verleger in Leipzig zeigt sich bekümmert über den Umstand, dass Nietzsches Bücher einfach niemand lesen wolle. Er verkaufe sich einfach nicht, die Druckkosten könnten nicht gedeckt werden. Und so schickt sein Verleger ihn fort, woraufhin er den Zarathustra auf eigene Kosten herausgibt. In einem Brief schreibt er bei Onfray: Es kommt so selten noch eine freundschaftliche Stimme zu mir. Ich bin jetzt allein…absurd allein; und aus mir selber ist…etwas wie eine Höhle geworden – etwas Verborgenes, das man nicht mehr findet, selbst wenn man ausginge, es zu suchen.  Langsam macht sich Nietzsches Umnachtung bemerkbar, die sicherlich noch von der Einsamkeit, in der er lebt und sich seinen Gedanken widmet, angestoßen wird.

Im Januar 1889 erleidet er in Turin einen geistigen Zusammenbruch und fällt in die Umnachtung und den Wahnsinn, den er nie mehr verlassen wird. Seine Mutter kümmert sich um ihn und als diese stirbt, übernimmt seine Schwester Elisabeth diese Rolle. Sie wird es auch sein, die Der Wille zur Macht herausgibt und Nietzsche damit entscheidend verfälscht, um ihn der  antisemitischen Sache dienstbar zu machen. Mit 55 Jahren starb Nietzsche an den Folgen einer Lungenentzündung und mehrerer Schlaganfälle.

Ich muss mich insofern der Behauptung anschließen, dass es sich hierbei um eine gute Einführung handelt als man den Menschen Friedrich Nietzsche in vielen Situationen und Stationen seines Lebens anders kennenlernen kann als man ihn bisher zu kennen glaubte. Man erblickt einen hadernden, durchaus emotionalen und auch liebebedürftigen Menschen, der an sich und seiner Zeit scheitert, vielleicht auch zerbricht. Allerdings sei jedem ans Herz gelegt, sich vorher grundlegend über biographische Eckdaten zu informieren, denn ein gewisses Grundwissen setzt auch dieses Comic unbedingt voraus. Auch ich musste danach – ebenso für diese Rezension – noch zusätzlich recherchieren, viele Charaktere im Buch sind mir noch immer nicht namentlich geläufig, weil sie weder mit Namen angesprochen noch sonstwie vorgestellt werden. Aber als Einführung in Nietzsches Leben und Werk sei es jedem Interessierten, der auch noch Genuss an wunderbaren Illustrationen finden kann, wärmstens empfohlen.

 

 

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