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Jan Christophersen – Schneetage

Jan Christophersen studierte in Leipzig Germanistik, Philosophie und Literaturwissenschaft und hat mit seinem Romandebüt Schneetage einen großartig stillen, durch und durch nordischen und melancholisch-süßen Roman geschrieben, der weiß, wen er erreichen will. Und der vorallendingen weiß, dass er auf all die anderen verzichten kann. Christophersen bekam 2009 für sein Werk den Debütpreis des Lübecker Buddenbrookhauses.

Vor dem Hintergrund der großen norddeutschen Schneekatastrophe 1978/1979 erzählt Christophersen eine leise Familiengeschichte, begleitet die Suche des Jungen Jannis nach seinem Vater und dem Ort, wo er hingehört und die Suche Paul Tamms nach Relikten Rungholts, das im Zuge einer großen Sturmflut 1362 unterging. Wie hier schon deutlich wird, ist die Suche ein zentrales Motiv in diesem Roman, wenngleich sie die beiden Protagonisten Jannis & Paul auch in jeweils unterschiedliche Richtungen treibt.

Paul ist Jannis “Ersatzvater” und besitzt mit seiner Frau, der sogenannten “Chefin”, eine kleine Gaststätte – den Grenzkrug. Er liegt direkt an der deutsch-dänischen Grenze und so werden wir im Laufe des Buches nicht nur Zeuge der tammschen Familiengeschichte, sondern auch der deutsch-dänischen Grenzkonflikte.  Paul sucht mit Jannis und archäologischem Übereifer Fundstücke aus Rungholt und als er eines Tages eine Scherbe findet, die er für ein Fragment von Rungholts Kirchenglocke hält, beginnt sich die Familie langsam in zwei Lager zu spalten.

Paul lässt seine Frau weitgehend allein den Grenzkrug führen und seine eigenen Kinder Nils und Nane ihr Leben leben, während er mit Jannis auf den Spuren Rungholts wandelt – oder das, was er dafür hält, denn bewiesen wird niemals, dass Pauls und Jannis’ Fundstücke tatsächlich aus Rungholt stammen. Paul sondert sich in seinem Zimmer immer weiter ab, während Jannis zwischen den Stühlen steht und versucht, jedem gegenüber seine Verpflichtungen zu erfüllen.

Der Roman wechselt geschickt zwischen der Gegenwart, in der Paul einen Herzinfarkt erlitten hat und im Krankenhaus liegt und Rückblenden in die Vergangenheit, ohne, dass das den Erzählfluss stören oder das Verständnis erschweren würde. Der Schreibstil ist recht trocken, still und ruhig – ein bisschen wie ein Spaziergang am Deich und ein Blick auf’s Meer. Genau hierin sehe ich seine Stärke. In der Ruhe, die man aus ihm schöpfen kann, in den Emotionen, die nicht viele Worte brauchen, in der Geschichte, mit der sich jeder ein bisschen identifizieren kann.

Auch wenn am Ende nicht jede Suche zum Erfolg führt, gibt es doch für jeden Protagonisten eine Antwort, mit der er leben kann – und muss. Paul erkennt für sich, dass es viel mehr die Suche als das Finden war, was ihn all die Zeit aufrechterhalten hat und Jannis begibt sich auf die Suche nach seinem Vater, einem britischen Soldat, der am Ende des zweiten Weltkriegs in der Nähe des Grenzkrugs mit dem Fallschirm abgestürzt war. Und besonders diese Vatersuche, obwohl man nicht einmal ein Bild von diesem Menschen vor Augen hat, beschreibt Christophersen so einfühlsam, ohne großen Pathos, dass man sich problemlos in diese Situation hineinversetzen kann.

Wer also einen Roman sucht, der weder viele Worte macht noch die Notwendigkeit sieht, Gefühle zu überzeichnen, damit man sie erleben kann, liegt mit Schneetage goldrichtig. Für alle, die viel Action, Humor oder Gefühl brauchen, um dranzubleiben, ist Christophersens Werk wahrscheinlich nicht zu empfehlen.

Jan Christophersen: Schneetage, Fischer Verlag, 368 Seiten, 9783596186228, 9,95 €

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