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Iwan Gontscharow – Oblomow

Iwan Gontscharow (1812-1891) war ein russischer Schriftsteller, dessen bekanntestes Werk das oben abgebildete ist. 1847 wurde Gontscharows erster Roman, Eine alltägliche Geschichte, veröffentlicht, in dem sich schon andeutet, was in seinem Hauptwerk eine mehr als nur zentrale Rolle spielen wird – das Nichtstun und die Langeweile. In Gontscharows Werken findet sich ein Archetyp der russischen Literatur des 19.Jahrhundert, der sogenannte Lischnij tschelovek, der überflüssige Mensch.

Nun fragt man sich sicherlich zu Recht, weshalb man ein sicher knapp sechshundert Seiten starkes Werk über Langeweile und überflüssige Menschen lesen sollte. Und wenn man sich’s recht besieht, habe ich darauf nur eine subjektive Antwort, die sicherlich nicht jeden zufriedenstellen wird. Weil, wie ich denke, in allen von uns etwas Oblomow steckt, etwas Trägheit, eine kleine Verschleppungsneigung, eine Angewohnheit an uns, die wir nicht einmal erklären können. Lethargie vielleicht sogar.

Deshalb sollte man wenigstens einen Blick auf das werfen, was Gontscharow uns vorsetzt, denn entgegen aller Erwartungen ist der Protagonist Oblomow nicht einfach nur ein gelangweilter Landadliger, sondern, wie ich es empfand, auch ein von sich selbst gequälter und zutiefst unzufriedener Mensch. Dafür muss man weder viel Land besitzen noch adlig sein und faulenzen muss man schon gar nicht.

Oblomow versinkt als Besitzer eines großen Landguts komplett in Träumerei. Mehrfach bekommt er Besuch von Bekannten, die ihn dazu animieren wollen, etwas zu unternehmen, doch alle Bemühungen schmettert Oblomow mit verschiedensten Ausreden ab. Er habe keine Zeit, es sei ihm zu laut, zu stressig und was es dergleichen noch mehr gibt. Zwar hat er ab und an Ideen, wie er seine Zeit verbringen und sein Leben gestalten könnte, tatsächlich verlässt er aber tagsüber nicht ein einziges Mal sein Bett.

Oblomow kultiviert das Nichtstun,  die Langeweile. Als er sich in Olga verliebt, beginnt er zwar kurz, sein Leben in die Hand zu nehmen, scheitert aber auch an dieser Hürde und landet letztlich wieder auf seinem Landgut, in seinem Bett, niedergeschlagen von seiner Antriebslosigkeit, verheiratet mit einer alten Witwe, die er wohl eher aus Zweckmäßigkeit denn aus emotionalen Gründen ehelicht.

Zugegebenermaßen klingt das nicht nach einem erheiternden oder spannenden Stück Literatur. Das ist es auch nicht. Es ist sehr russisch, sehr melancholisch und schwer und wer sich nicht auf die Stimmung des Buches einlassen und hinter das blicken kann, was vordergründig beschrieben wird, wird sich wahrscheinlich mit Oblomow gemeinsam tödlich langweilen. Für mich war es die Charakterstudie eines komplett rückgratlosen und schwachen Mannes, der es trotz des Wunsches, am Leben teilzuhaben, nicht schafft, sich von dieser Apathie freizumachen, die sein Leben bestimmt.

Es ist deprimierend, aber nicht zuletzt auch ein Aufruf zur Selbstbestimmtheit, wenngleich wir auch, wie es den überflüssigen Menschen charakterisiert, an unserer Hilflosigkeit der Gesellschaft gegenüber zerbrechen. Diese Diskrepanz zwischen dem Willen, etwas zu tun und des Bewusstseins, das jede Tat eine verschwendete wäre, bildet Gontscharow grandios ab. (und charakterisiert letztlich damit auch den heutigen Intellektuellen, der zwar Mechanismen durchschaut, sich aber außerstande sieht, sie als einzelner zu durchbrechen)

Iwan Gontscharow: Oblomow, aus dem Russischen von Clara Brauner, Manesse Verlag, 9783717515784, 24,90 €

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